Sinnlich, schön, geduldig, verständnisvoll. Ein bisschen Mutter, ein bisschen Managerin und vor allem: dem Meister eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Mit dieser überkommen Vorstellung hat die Muse Roman Lipskis wenig gemein. Sie ist eher kühl berechnend als mitfühlend. Und ihre Schönheit zu erkennen, verlangt einiges an Vorstellungskraft. Oder innige Liebe zur Mathematik, denn Roman Lipskis Muse ist ein Algorithmus.
In seinem jüngsten Projekt „Unfinished“ hat sich der polnische, in Berlin lebende Maler auf ein Experiment eingelassen. Er ist in den Dialog mit einer künstlichen Intelligenz (KI) getreten.
Ausgehend von einer Schwarz-Weiß-Fotografie, die eine Straßenbiegung in Los Angeles vor dem Horizont der erleuchteten Metropole zeigt, hat Lipski neun farbige Variationen dieser Landschaft geschaffen – ganz eindeutig im Stil seiner Malerei, die bislang gegenständlich geblieben war.
In Kooperation mit Lipski entwickelte das YQP Art Collective (Berlin/NYC) – Florian Dohmann, Manuel Urbanke, Maximilian Hoch und Christian Nietner – das erste künstlich intelligente System , das einen Künstler wie eine Muse inspiriert und herausfordert. Herzstück dieser selbständig „denkenden“ Maschine ist ein neuronales Netz. In einem ersten Schritt speisten die Informatiker aus Berlin und New York das System mit den Bildern, die Lipski nach der Fotografie gemalt hat.
„Ich hatte nicht viel erwartet“
Daraus hat der Algorithmus eine Vielzahl digitaler Bilder erstellt, die den Gemälden des Künstlers zwar in Farbigkeit, Motiv, Duktus und Komposition ähneln, jedoch vollkommen neue ästhetische Aspekte aufweisen – und durchaus ihren Reiz haben. Das Ergebnis überraschte. „Dabei hatte ich nicht viel erwartet“, bekennt Lipski.
Unter „Unfinished 1“ stehen diese Ausdrucke von A.I.R (Artificial Intelligence Roman), nun den neun Gemälden Roman Lipskis gegenüber. Eine Auswahl gelungener digital generierter Bilder, wobei der Betrachter nicht weiß, ob er sich darüber freuen soll, oder nicht … Faszinierend und beängstigend zugleich. Ein Gefühl, das im Übrigen auch nach dem Besuch der Ausstellung nicht so schnell weichen wird.
Im Dialog mit dem Algorithmus
Drei Mal haben Roman Lipski und A.I. R. den Zyklus gegenseitiger Inspiration nun durchlaufen. Jeweils drei Serien zeigen den Transformationsprozess. Im Dialog mit dem Algorithmus, im Wechselspiel von künstlerischer und künstlicher Intelligenz wechselt die Musen-Rolle zwischen Mensch und Maschine.
In jedem Zyklus des „Unfinished“-Projektes malt Lipski seine ursprünglichen Motive neu, entwickelt sie – inspiriert vom „Stil“ der Maschine – weiter. Deutlich zeigen sich bei „Unfinished 2“ in Lipskis gemalter Reaktion bereits Ansätze der nicht-gegenständlichen Malerei. Und wieder nimmt Lipski die antwortende Bilderproduktion der KI als Quelle für die eigene Inspiration: Die ursprünglichen Elemente einer Landschaft lassen sich bei „Unfinished 3“ bestenfalls nur noch erahnen. Ganz offensichtlich hat der Stil des Künstlers sich verändert, ist auffällig abstrakter geworden.
So hatte Lipski, dessen Werk in bedeutenden Sammlungen rund um den Globus vertreten ist, noch vor zwei Jahren resümiert: „Irgendwann möchte ich abstrakt malen – so weit bin ich noch nicht“. Nun ist es also die Digitalisierung, die ihn zu diesem Schritt ermutigt.
Frage nach Aura und Autorenschaft
Indem die Kreativität des Menschen und der Algorithmus der Maschine aufeinandertreffen, berührt Lipski eine der Fragen, denen in Zukunft wohl keiner mehr ausweichen kann: Der Frage nach der Aura und der Autorenschaft im digitalen Zeitalter. Eine Frage nach einer Entwicklung, die unsere Zukunft verändern wird – sofern das nicht schon längst sukzessive geschehen ist.
Inwiefern ist künstlerische Kreativität noch ein Privileg des Menschen? Und wie wirkt sich die Antwort auf unser Selbstverständnis aus – und vor allem das der Künstler? Wird die – von Menschen erschaffene und programmierte – Technik am Ende den Künstler ersetzen?
Die Digitale Muse – ein Geschöpf des Menschen
Roman Lipski sieht sich von A.I.R. keineswegs bedroht. Die künstliche Muse sei vielmehr eine Herausforderung, an der er wachsen kann: „Zum einen sind es immer noch Menschen, die die Maschine füttern, zum anderen treffe ich die Auswahl unter den unzähligen möglichen Resultaten, entscheide also, was gelungen ist und was nicht.“ Eine solche ästhetische Kritik, die neben Erfahrung auch auf Intuition und Gefühl fußt, könne eine Künstliche Intelligenz niemals treffen.
Während bisher immer das Foto den Ausgangspunkt für Roman Lipskis Gemäldeserien bot, hat YQP den Computer nun direkt mit den Ergebnissen von „Unfinished 3“ gespeist. Die Pinselstriche bei „Unfinished 4“ sind ebenso virtuos wie pastos, Roman Lipski scheint die Kontrolle über die Bilder etwas gelockert zu haben, sich bei der Malerei mehr noch dem Prozess hingegeben als bei den früheren Landschaftsbildern.
Roman Lipski bilanziert seine bisherigen Erfahrungen so: „Das Projekt Unfinished zeigt unerschöpfliche Möglichkeiten für künstlerische Expression in künstlerischer und digitaler Hinsicht.“ Sind es nicht gerade diese unerschöpflichen Möglichkeiten, die das Abenteuer der Kreativität ausmachen? So haben sich Roman Lipski und A.I.R. gemeinsam auf den Weg in ein weitgehend noch unerforschtes Land gemacht.
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