Der Kultursektor generiert aktuell Umsätze von 2,25 Milliarden US-Dollar jährlich und beschäftigt fast 30 Millionen Menschen weltweit. Prognosen zufolge wird er in den nächsten Jahren für zehn Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung aufkommen. Das zeigt der Weltbericht „KULTURPOLITIK NEU I GESTALTEN – Kreativität fördern, Entwicklung voranbringen“, der heute von der UNESCO-Generaldirektorin Audrey Azoulay und der schwedischen Ministerin für Kultur und Demokratie Karin Strandås in Paris vorgestellt wird.
Trotz zahlreicher Fortschritte in der Kulturpolitik und bei der Vielfalt der Produktion kultureller Inhalte kritisieren die Autoren des Berichts Defizite, etwa beim ausgewogenen Zugang zu Handelsmärkten mit Kulturgütern und Dienstleistungen, bei der Künstlerfreiheit, Mobilität und Geschlechtergerechtigkeit.
„Die lokale Produktion kultureller Inhalte und der Handel mit Kulturgütern nehmen weltweit zu. Noch immer erschweren jedoch Handelsbarrieren, mangelnde Maßnahmen zur Vorzugsbehandlung und zu wenige personelle und finanzielle Ressourcen in den am wenigsten entwickelten Ländern die Teilhabe am Kulturmarkt des globalen Nordens. Das muss sich ändern“, fordert Prof. Dr. Wolfgang Kaschuba, Vorstandsmitglied der Deutschen UNESCO-Kommission. „Besonders positiv ist jedoch, dass gut hundert staatliche und nicht-staatliche Akteure zunehmend Maßnahmen zum Schutz künstlerischer Freiheiten und zur Stärkung von Künstlermobilität ergreifen.“
Mobilität von Künstlerinnen und Künstlern weiter stärken
Der globale Norden ist nach wie vor das wichtigste Ziel für Kunst- und Kulturschaffende aus dem globalen Süden, doch der Zugang zu diesem Markt ist angesichts des aktuellen Sicherheitsklimas zunehmend schwierig. Visabestimmungen tun ihr übriges. Im Jahr 2017 können Reisepassinhaber aus dem globalen Süden 75 Länder visafrei bereisen. Kulturschaffende aus dem globalen Norden sind hier weiterhin im Vorteil – für sie sind 157 Länder problemlos zugänglich. Die Autoren des Berichts betonen, dass die Mobilität von Kunst- und Kulturschaffenden wesentlich für die Förderung der Vielfalt von Ideen, Werten und Weltanschauungen in Kunst und Kultur sowie für die Förderung einer nachhaltigen Kultur- und Kreativwirtschaft ist. Der Abbau von Barrieren sei dringend notwendig.
Angriffe auf Kunstschaffende
430 Angriffe auf Künstlerinnen und Künstler wurden im Jahr 2016 verzeichnet. Noch im Jahr 2015 lag diese Zahl bei 340 und im Jahr 2014 bei 90. Am stärksten betroffen sind Musiker, doch auch Autoren werden häufig attackiert. Die meisten Übergriffe auf Autoren fanden 2016 in den Regionen Asien-Pazifik (80), Nahost und Nordafrika (51) und Europa (47) statt. Die Autoren des Berichts stellen gleichzeitig fest, dass staatliche und nicht-staatliche Akteure zunehmend Maßnahmen zum Schutz künstlerischer Freiheiten ergreifen. Dazu zählen gesetzliche Änderungen, das Schaffen von sicheren Rückzugsorten in Künstlerresidenzen, die Aufnahme von über 170 Kunstschaffenden durch 80 Städte seit 2006 sowie die Einrichtung von Notfallfonds und Hilfen durch über 100 Organisationen weltweit.
Gleichberechtigung von Männer und Frauen
Der Bericht zeigt, dass geschlechterspezifische Unterschiede in nahezu allen Bereichen der Kultur weltweit fortbestehen. Frauen sind in Schlüsselfunktionen des Kultursektors weiterhin unterrepräsentiert. Nur bei einem von fünf Filmen beispielsweise führte in Europa eine Frau Regie. Frauen verdienen auch heute noch weniger als Männer: In Nordamerika erhalten Frauen beispielsweise nur 75 Cent für jeden US-Dollar, den männliche Museumsdirektoren verdienen. Lediglich 34 Prozent der Kulturminister sind Frauen und 31 Prozent der Vorsitzenden Nationaler Kunst- und Kulturräte. Ein Bewusstsein für die Bedeutung der Förderung von Geschlechtergleichstellung im kulturellen Sektor ist in den vergangenen Jahren gestiegen, doch dies reicht nicht aus. Die Autoren des Berichts fordern, eine Gender-Perspektive in Kulturpolitik und -maßnahmen zu integrieren, gleichen Zugang zu Finanzierung und Chancen zu sichern und Frauen als Schaffende und Produzentinnen von zeitgenössischen kulturellen Ausdrucksformen besonders zu fördern.
Kulturwirtschaft immer digitaler
2016 lagen die Erlöse aus dem Online-Musikhandel mit 7,85 Milliarden US-Dollar zum ersten Mal bei 50 Prozent der gesamten Erlöse der Musikindustrie. Das ist ein Zuwachs von 16 Prozent gegenüber 2015 (6,75 Milliarden US-Dollar), der sich insbesondere durch die steigenden Umsätze der Streamingdienste erklärt. Doch nur wenige profitieren von dieser Entwicklung. Bisher haben nur vereinzelte Länder eine Strategie entwickelt, um die Digitalisierung des Kultursektors aktiv zu gestalten. Auch technische Hürden bestehen weiter, da vielen Ländern im globalen Süden die Infrastruktur fehlt, um den Markt für digital produzierte und verbreitete kulturelle Güter und Dienstleistungen zu nutzen. Der Aufstieg großer Plattformen hat zudem zu Marktkonzentration geführt. Die Autoren des Berichts fordern Länder auf, Digitalisierungsstrategien zu entwickeln und in lokale Kulturproduktion zu investieren. Auch neue Partnerschaften zwischen Staat, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft seien notwendig.
Kultur für nachhaltige Entwicklung
Länder weltweit sehen Kultur als Grundpfeiler nachhaltiger Entwicklung. Von den aktuell 111 nationalen Entwicklungsplänen verweisen 86 Prozent auf Kultur, davon sind über zwei Drittel aus dem globalen Süden. Die Autoren kritisieren aber, dass die Entwicklungszusammenarbeit Kultur bisher nicht hinreichend fördert. Nur 0,22 Prozent der Entwicklungshilfegelder wurden 2015 für Kultur aufgewendet. Dies ist eine Abnahme um 45 Prozent seit 2005 und der niedrigste Stand seit zehn Jahren. Die Autoren fordern höhere Investitionen in Kreativität, Arbeitsplätze im Kultursektor zu schaffen, Ungleichheiten zu beseitigen, künstlerische Innovation sowie nachhaltige Produktion und Konsum sicherzustellen.
Hintergrundinformationen
Die UNESCO-Generalkonferenz hat am 20. Oktober 2005 die „Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ verabschiedet. 146 Länder und die Europäische Union haben die Konvention seither ratifiziert. Sie garantiert dauerhaft das Recht auf eine eigenständige Kulturpolitik der Vertragsstaaten und soll zur Intensivierung globaler Kulturkooperation beitragen. Die Konvention trat am 18. März 2007 in Kraft. Deutschland hat sie am 12. März 2007 ratifiziert. Die Deutsche UNESCO-Kommission führt Projekte zur Stärkung kultureller Vielfalt in Deutschland, Europa und der arabischen Region durch und beteiligt sich an der Politikberatung zur Stärkung kultureller Governance.
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Daten und Fakten
UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen
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