„Ende einer Legende“ titelte die Berliner Zeitung, als vor fünf Jahren die Charlottenburger Buchhandlung Lehmanns schloss. Mit der Schließung von Lehmanns – zuvor war hier die renommierte Buchhandlung Kiepert ansässig – gingen 57 Jahre Buchhandel unwiderruflich zu Ende. Ein Triumph des digitalen Zeitalters, klagten viele Bücherfreunde – und verfielen in Kulturpessimismus.
Tatsächlich markierte das leerstehende Haus Hardenberg eine klaffende Wunde im Straßenbild. Bis zum vergangenen Samstag. Nun ist das von Paul Schwebe erbaute Kleinod aus der Nachkriegsmoderne mit neuem Leben erfüllt.
Niederschwellige Einladung an Kiez und Touristen
In dem von Staab Architekten sensibel sanierten Untergeschoss hat das Bauhaus-Archiv Berlin ein „temporäres Schaufenster“ eingerichtet. Vor allem der Bauhaus Shop mit seinen bunten Auslagen hat bereits am Eröffnungstag zahlreiche Passanten – Berliner ebenso wie Touristen – angelockt. Auf niederschwellige Art kommen die Besucher so nicht nur mit ästhetisch ansprechendem Alltagsdesign, sondern auch mit der Institution Bauhaus und seiner Philosophie in Berührung.
„Es ist eine ganz neue Erfahrung für uns “, erklärt die Kuratorin Esther Cleven. Das neue Format biete – anders als der Museumsbetrieb mit seinen langen Vorlaufzeiten – die Möglichkeit der schnellen Interaktion. Dies möchte das Bauhaus-Team nutzen, um zukünftig spontan auf aktuelle Diskussionen reagieren zu können.
Vieles ist denkbar, vieles ist machbar
Nicht zuletzt das gerade zu Ende gegangene MakeCiy Festival hat wieder markiert, wie das Thema der demokratischen Stadtgestaltung den Menschen unter den Nägeln brennt. Die Notwendigkeit, sich auf allen Ebenen auszutauschen, sieht auch Esther Cleven: „Wir können ebenso Architekten einladen, die Museen errichten, wie Menschen, die Museen ‚doof finden‘.“ Vieles sei denkbar, vieles machbar. Und das Experimentieren ausdrücklich Teil des Konzeptes.
„Es ist wichtig, Veränderungen der inhaltlichen Ausrichtung des Hauses im Kontext politischer und kultureller Transformationen nachzuspüren“, betont die Kuratorin. Und setzt sich und ihre Kollegen damit eindeutig in die Tradition der Gründungsväter. Vor allem angesichts des nahenden Jubiläums „100 Jahre Bauhaus“ steht derzeit nicht nur die Standort-, sondern auch die Standpunktbestimmung im Fokus.
Der bisherige, von Mies van der Rohe entworfene Standort in der Klingelhöferstraße, wird derzeit saniert. Direkt nach der Frostperiode werde 2019 mit dem Erweiterungsbau begonnen, verspricht Direktorin Annemarie Jaeggie. Bisher bewege sich alles im Zeitplan. Das Modell des Neubaus, den das Büro Staab Architekten entworfen hat, ist übrigens derzeit im temporären Schaufenster zu besichtigen.
Blick in die Historie
Doch der Blick der Berliner Bauhaus-Mitarbeiter richtet sich nicht nur in die Zukunft. Gleichzeit nutzen sie die Interimszeit, sich intensiv mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Jedes Jahr steht unter einem Schwerpunktthema, den Start macht das Thema „Sammlung“.
Und diese ist gewaltig. So umfassen alleine die Dokumentenbestände 100.000 Archivalien, die bisher eher im Schatten der Bildenden Kunst und der Designklassiker standen. Eine Ausstellung auf der Empore im Haus Hardenberg Haus zeigt nun Dokumentenfaksimiles zur Geschichte des Bauhauses zwischen 1959 und 1979. Das Bauhaus Archiv war 1960 in Darmstadt als Verein gegründet worden und 1979 in die Klingelhöferstraße gezogen.
Ausstellung im Retro-Look
Die Schau ist textlastig. Dafür erfährt derjenige, der Zeit und Interesse mitbringt, in der ehemaligen Buchhandlung viel Wissenswertes – auf analogem Wege. Etwa über die Entwicklung zur „Helvetia“-Schrift oder über die Gretchenfrage „Punkt oder Quadrat“ im Design des Logos. Plakate erinnern an den regen Ausstellungsbetrieb in den Sechzigern und Siebzigern des letzten Jahrhunderts.
Nachdenklich stimmt vor allem eine Rede von Walter Gropius aus dem Jahr 1955, in dem dieser auf die Bedeutung des Bauhauses als Beitrag zur kulturellen und politischen Rehabilitierung Westdeutschlands hinwies.
Das Bauhaus als demokratische Einrichtung. Aktuell mit dem Experiment eines Schaufensters, das den Blick von außen nach innen und von innen nach außen ermöglicht. Ein Erfahrungsraum, in dem Bauhaus-Interessierte und solche, die es erst werden, nach hinten schauen und sich auf das Morgen freuen. Ein Format, das selbst Kulturpessimisten tröstet.