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{"id":2458,"date":"2016-06-28T07:43:20","date_gmt":"2016-06-28T05:43:20","guid":{"rendered":"http:\/\/www.yeast-art-of-sharing.de\/?p=2458"},"modified":"2019-01-02T23:39:11","modified_gmt":"2019-01-02T22:39:11","slug":"heim-und-heimat","status":"publish","type":"post","link":"http:\/\/www.yeast-art-of-sharing.de\/2016\/06\/heim-und-heimat\/","title":{"rendered":"Heim und Heimat"},"content":{"rendered":"

\u201eMan kann die Heimat auswechseln, oder keine haben, aber man muss immer, gleichg\u00fcltig wo, wohnen\u201c, hat Vil\u00e9m Flusser einst geschrieben. Der aus Prag stammende Philosoph wusste nur zu gut, wovon er redet, war er doch selber ein Exilant, der vor den Nationalsozialisten fl\u00fcchten musste und seine gesamte Familie in den Konzentrationslagern verloren hatte.<\/p>\n

Ein Pinboard mit Wohnungsgesuchen erwartet den Besucher am Eingang der Ausstellungshallen des Museums Europ\u00e4ischer Kulturen in Dahlem. Mohammad aus Damaskus sucht ein Einzimmerapartment oder ein WG-Zimmer. Auch der Steueranwalt Atef hofft auf eine Unterkunft. Frau und Kinder sind noch in Aleppo… Doch wo werden Mohammad, Atef und viele andere Menschen aus dem Wohnheim in der Staakener Stra\u00dfe in Spandau langfristig unterkommen – und sich gar heimisch f\u00fchlen?<\/p>\n

\"daHEIM_1\"<\/a>Gemeinsam mit KUNSTASYL, einer Initiative von K\u00fcnstlerinnen und K\u00fcnstlern, Kreativen und Asylsuchenden, erarbeitet Caveng seit M\u00e4rz diesen Jahres in einem partizipatorischen Werkstattprozess die Pr\u00e4sentation \u201edaHEIM: Einsichten in fl\u00fcchtige Leben\u201c, die am 22. Juli in einer Ausstellung gipfeln wird. \u201eDas Ziel ist die gemeinsame Verantwortung aller Beteiligten zur Bestimmung ihres kulturellen Erbes\u201c, so die Projektmanagerin. Erfahrungen, W\u00fcnsche, Lebensperspektiven und Wohnwelten der Menschen, die fliehen mussten, sollen mit den Mitteln der Kunst durchgespielt und festgehalten werden \u2013 immer im m\u00f6glichen Dialog mit dem interessierten Besucher.<\/p>\n

Dabei korrespondieren diese Entw\u00fcrfe eines \u201edaHeims\u201c mit den Erinnerungen von Migranten aus und nach Europa im 19. und 20. Jahrhundert. An die Wand geschriebene Zitate von Anna Seghers, deren Flucht vor den Nationalsozialisten sie \u00fcber Paris bis nach Mexiko f\u00fchrte, stehen im unmittelbaren Dialog mit den Erfahrungen des aus Eritrea stammenden 28-j\u00e4hrigen Bereket, der u.a. seine Ankunft beim Lageso reflektiert.<\/p>\n

\u201eIch sah zu den Sternen hinauf und dachte ein wenig getr\u00f6stet, ich wei\u00df nicht, warum diese Sterne wohl f\u00fcr mich da seien und f\u00fcr Menschen und f\u00fcr meinesgleichen und f\u00fcr die, die jetzt eigene Lichter anz\u00fcnden\u201c, philosophierte Seghers, wobei auch Bereket trotz schmerzhafter Erfahrungen seinen Optimismus nicht aufgegeben hat: \u201eIch empfinde keine Schwere. Mein Leben ist normal. Es ist so, wie man es sich selber macht. Leichtigkeit empfinde ich schon. Es gibt ja immer etwas, was einen gerne leben l\u00e4sst.\u201c Bereket hat die Fahrt \u00fcbers Meer von Libyen nach Europa \u00fcberlebt. Im Rumpf des Schiffes seien \u201edie K\u00f6rper von 800 Menschen zu einem verschmolzen, verbunden f\u00fcr 48 Stunden auf Leben und Tod\u201c.<\/p>\n

In seinem Heimatort Ghergef im S\u00fcden Eritreas hat Bereket den Bau von D\u00e4chern gelernt. Seit Ende Mai hat er im Garten des Museums ein Dach in der lokalen \"daHEIM_5\"<\/a>Tradition der Bewohner Ghergefs gebaut. \u201eAGEDO – [k]ein Dach \u00fcberm Kopf\u201c ist Teil des gemeinsamen Ausstellungsprojektes von KUNSTASYL und dem Museum Europ\u00e4ischer Kulturen. Insgesamt eine Fuhre Stroh, 34 halbe und vier Kieferpalisaden, 200 Meter Weiden und Hunderte von Metern Schnur ben\u00f6tigte Bereket zur Konstruktion und Bau seines ersten Daches in Deutschland. Einen Lehrling hatte er auch bereits angelernt: den Architekten Aymen. Es z\u00e4hlt zum Kerngedanken der partizipatorischen Kunstprojekte von Barbara Caveng, dass jeder seine St\u00e4rken einbringt und offen ist f\u00fcr die St\u00e4rken des anderen. Eine kreative Win-Win-Situation.<\/p>\n

Direkt neben dem Dach ist der Garten der Tr\u00e4ume angelegt. Ihren Schmerzen setzen die Gefl\u00fcchteten etwas Wachsendes, Florierendes entgegen. Neben Blumen pflanzen sie Hoffnung.<\/p>\n

Die Thematik hat eine \u201eunfassbare Komplexit\u00e4t\u201c res\u00fcmiert Barbara Caveng, die sich sowohl in Idomeni als auch auf Lampedusa auf Spurensuche begeben hatte. So zeugen gefundene Kleidungsst\u00fccke von der gef\u00e4hrlichen Flucht \u00fcber das Mittelmeer, die f\u00fcr viele keinen Beginn in die Zukunft markierte. \u201eDas Projekt ist Schmerz\u201c, erkl\u00e4rt die K\u00fcnstlerin. Vor allem, wenn sie den Menschen durch die Arbeit nahe gekommen sei. Wie im Falle von Zineta, einer Romafrau aus Bosnien, und ihrer Enkelin Melisa. Nur ein Monat trenne sie und Zineta altersm\u00e4\u00dfig. \u201cWir sind Freundinnen geworden\u201c.<\/p>\n

\"daHEIM_4\"<\/a>Zineta war 2011 in Folge rassistische \u00dcberf\u00e4lle nach Deutschland gefl\u00fcchtet, ihr Haus war angez\u00fcndet worden. Doch in Deutschland konnten sie und Melisa nicht bleiben, mussten zur\u00fcck nach Bosnien in die Hausruine. \u201eWas f\u00fcr ein Pech man haben kann, wenn man in einem anderen Teil der Welt geboren ist\u201c, sagt die Graub\u00fcndnerin nachdenklich. Den einsturzgef\u00e4hrdeten Dachstuhl hat das KUNSTASYL-Team nachgebaut. Darunter befindet sich ein schmiedeeisernes Bett aus dem Heim in Spandau, ein Bild, mit dem Zineta ihr Zimmer dekoriert hatte und eine \u00fcbergro\u00dfe \u201eKitticat\u201c aus rosa Pl\u00fcsch.<\/p>\n

\u201eUnd wenn ich denke, ich habe zu Hause kein Geld, ich habe nichts zu essen, und meine Kinder haben Hunger\u201c, hat Zineta noch vor ihrer Abschiebung nach Bosnien zu Protokoll gegeben. \u201e Ich muss arbeiten, auch f\u00fcr 3 Euro. Aber f\u00fcr andere Leute… ich 10 Euro. Aber ich bin Oma, ich muss arbeiten. Schwer…\u201c<\/p>\n

W\u00e4hrend Zineta Berlin verlassen musste, hat Mazin aus Syrien die Chance, hier einen Neuanfang zu starten: \u201eSolange ich gesund bin, gibt es f\u00fcr mich keine Vergangenheit mehr. Alles was ich in Syrien hatte, habe ich selbst erreicht. Das kann ich wieder schaffen\u2026 Erinnerungen und Emotionen stellt man nicht zu und mit einem Ort her, sondern mit Menschen, die man liebt. Ich kann hier neue Erinnerungen schaffen.\u201c<\/p>\n

Eine gro\u00dfe Installation von Dachil Sado aus Bettgestellen, in die Monitore eingef\u00fcgt werden, wiederum soll der Bewahrung alter Erinnerungen an die verlorenen \"daHEIM_2\"<\/a>Heimaten dienen. Dachil, der mit Barbara Caveng bereits einige Projekte realisiert hat, werde ab dem Sommer an der Kunsthochschule in Weissensee studieren, erkl\u00e4rt die K\u00fcnstlerin voller Freude.<\/p>\n

Eine begonnene Wandarbeit in den Ausstellungsr\u00e4umen ist bereits seit einigen Tagen verwaist. Der Iraker, der sie begonnen hat, ist mental nicht in der Lage, sie fortzuf\u00fchren. Zu gro\u00df die Sorge des Traumatisierten um seine Eltern in der Heimat, zu barbarisch die Dinge, die er erlebt hat. Von den Grausamkeiten zeugt seine Zeichnung: Hinter einem bewaffneten IS-K\u00e4mpfer mit Schwert reihen sich unz\u00e4hlige Strichm\u00e4nnchen, alle im gleichen, dem therapeutischen Prinzip der Wiederholung folgenden Duktus, auf die Wand aufgetragen. Barbara Caveng macht auf die K\u00f6pfe aufmerksam, die waagerecht auf dem K\u00f6rper zu liegen scheinen, um 180% gedreht: \u201eEs ist eine Welt, die tats\u00e4chlich komplett aus den Fugen geraten ist\u201c.<\/p>\n

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Weitere Informationen<\/a><\/strong><\/p>\n

Er\u00f6ffnung der Ausstellung \u201edaHEIM: Einsichten in fl\u00fcchtige Leben\u201c (22.07.16-2.07.17) ist am 21.07.16 um 18.00 Uhr. Immer donnerstags von 11.00 \u2013 17.00 Uhr und samstags von 12.00 bis 18.00 Uhr kann die in einem\u00a0werkstatt-artigen Prozess befindliche Ausstellung bereits besucht werden.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

\u201eMan kann die Heimat auswechseln, oder keine haben, aber man muss immer, gleichg\u00fcltig wo, wohnen\u201c, hat Vil\u00e9m Flusser einst geschrieben. Der aus Prag stammende Philosoph wusste nur zu gut, wovon er redet, war er doch selber ein Exilant, der vor den Nationalsozialisten fl\u00fcchten musste und seine gesamte Familie in den Konzentrationslagern verloren hatte.<\/p>\n","protected":false},"author":3,"featured_media":2452,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[89,86,1084],"tags":[244,247,274,242,245],"class_list":["post-2458","post","type-post","status-publish","format-standard","has-post-thumbnail","hentry","category-archiv","category-artikel","category-gesellschaft","tag-barbara-caveng","tag-dachil-sado","tag-daheim-einsichten-ins-fluechtige-leben","tag-kunstasyl","tag-museum-europaeischer-kulturen"],"_links":{"self":[{"href":"http:\/\/www.yeast-art-of-sharing.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/2458","targetHints":{"allow":["GET"]}}],"collection":[{"href":"http:\/\/www.yeast-art-of-sharing.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"http:\/\/www.yeast-art-of-sharing.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"http:\/\/www.yeast-art-of-sharing.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/3"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"http:\/\/www.yeast-art-of-sharing.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=2458"}],"version-history":[{"count":6,"href":"http:\/\/www.yeast-art-of-sharing.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/2458\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":2465,"href":"http:\/\/www.yeast-art-of-sharing.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/2458\/revisions\/2465"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"http:\/\/www.yeast-art-of-sharing.de\/wp-json\/wp\/v2\/media\/2452"}],"wp:attachment":[{"href":"http:\/\/www.yeast-art-of-sharing.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=2458"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"http:\/\/www.yeast-art-of-sharing.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=2458"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"http:\/\/www.yeast-art-of-sharing.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=2458"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}