Radikaldemokratisch \u2013 so bezeichnet die Dozentin und Kuratorin Nora Sternfeld ihren Ansatz. Doch was passiert mit der Theorie, wenn das reale Leben sie unvermittelt auf die Probe stellt? In Norwegen wurde die \u00f6sterreichische Dozentin und Kuratorin mit einem Reality Check der ganz besonderen Art konfrontiert.<\/p>\n

Die \u201eBergen Assembly\u201c hatte das interdisziplin\u00e4re und internationale Kollektiv \u201e.frEEthought\u201c, dem auch Nora Sternfeld angeh\u00f6rt, eingeladen, einen Beitrag zur Kunst-Triennale zu leisten. Im Rahmen des Projektes \u201eInfrastructures\u201c entwickelte Sternfeld die Idee, ein \u201ePartisan Caf\u00e9\u201c einzurichten. Es sollte sich in die Tradition des legend\u00e4ren gleichnamigen Londoner Caf\u00e9s einreihen, einem Treffpunkt der Linken in den 60iger Jahren, wohlwissend, \u201edass Caf\u00e9s l\u00e4ngst auch ein Teil von Gentrifizierungsprozessen sind.\u201c<\/p>\n

Caf\u00e9 oder doch Museum?<\/strong><\/p>\n

<\/a>F\u00fcr die k\u00fcnstlerische Gestaltung lud Sternfeld die Wiener K\u00fcnstlerin Isa Rosenberger ein. Von der Garage einer historischen Feuerwehrstation, die die Organisatoren der Bergen Assembly ihnen anboten, zeigten sich die beiden angetan. Doch schnell mussten sie feststellen: Der Raum war besetzt.<\/p>\n

L\u00e4ngst hatten pensionierte Feuerwehrm\u00e4nner die Station ins Auge gefasst, um hier ein Museum einzurichten, das an die gro\u00dfen Feuer der Stadt erinnern sollte. Doch die Stadt Bergen hatte andere Pl\u00e4ne f\u00fcr das Filetst\u00fcck inmitten des Zentrums: Sie sah B\u00fcror\u00e4ume oder gar eine Shopping-Mall f\u00fcr die gewinntr\u00e4chtige Immobilie vor.<\/p>\n

Die Feuerwehrm\u00e4nner, \u00e4ltere Herren im Alter zwischen 60 und 80 Jahren, nahmen die Absage jedoch nicht hin. In einer Nacht- und Nebelaktion schufen sie alte Feuerwehrtrucks sowie eine umfangreiche Helm- und Uniformsammlung in das Geb\u00e4ude und legten somit den Grundstein zu einem m\u00f6glichen Feuerwehrmuseum. Nora Sternfeld und Isa Rosenberger sahen sich unvermittelt in einer ungewohnten Rolle, in der Rolle von Gentrifizierenden.<\/p>\n

\u201eIn Prozessen arbeiten und sich in Prozessen auf Prozesse einlassen\u201c.<\/strong><\/p>\n

Das sei vor allem deshalb so interessant gewesen, so Sternfeld, da sie noch am Tag zuvor ein Seminar bei dem Urbanisten Louis Moreno besucht h\u00e4tten, in dem es <\/a>um die Involvierung von kulturellen Prozessen in Gentrifizierungsprozesse ging. \u201eUnd pl\u00f6tzlich war es keine allgemeine Frage mehr, sondern eine sehr konkrete – n\u00e4mlich wie verhalten wir uns als Gentrifizierende zu den Besetzenden?\u201c Die Kuratorin, die derzeit als Director of Curating, Managing und Mediating Art an der Aalto University in Helsinki lehrt, beschloss, diese Frage direkt zu adressieren und zum Teil des Projekts zu machen. Schlie\u00dflich sei es das, was Isa Rosenbergers k\u00fcnstlerischer und ihrer kuratorischen Praxis entspreche: \u201ein Prozessen zu arbeiten und sich in Prozessen auf Prozesse einzulassen\u201c.<\/p>\n

Kuratorin und K\u00fcnstlerin beschlossen, sich nicht \u00fcber die Feuerwehrleute hinweg, sondern sich mit ihnen zusammen zu setzen. Die erste Frage war: \u201eSollen wir gehen?\u201c Und die sei ganz ernst gemeint gewesen, betont Sternfeld. \u201eOder gibt es irgendeinen Punkt, an dem es Sinn macht, etwas zusammen zu initiieren?\u201c H\u00e4tte es auch nur den leisesten Zweifel gegeben, so h\u00e4tte sie das Projekt nicht durchziehen wollen: \u201eIch bin gegen einen Begriff von Partizipation, der diese eigentlich ihres demokratischen Gehaltes beraubt. Ich sage, Partizipation ist dann demokratisch, wenn es um das demokratische Prinzip geht, n\u00e4mlich darum, um die Spielregeln zu spielen \u2013 und nicht mitzuspielen. Und wenn nicht um die Spielregeln gespielt wird, finde ich, sollte es nicht Partizipation genannt werden.\u201c<\/p>\n

<\/a>Die Feuerwehrm\u00e4nner jedoch h\u00e4tten \u201esehr cool und klug\u201c reagiert, berichtet Isa Rosenberger und eine Chance f\u00fcr sich gewittert, \u00f6ffentlich auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Sternfeld schlug den M\u00e4nnern eine tempor\u00e4re Allianz vor, ein Projekt, das ihren Kampf zwar nicht repr\u00e4sentiere, aber dennoch f\u00fcr sie interessant sein k\u00f6nne, n\u00e4mlich das \u201eMuseum der brennenden Fragen\u201c. B\u00fcrger sollten sich zu den Dingen \u00e4u\u00dfern, die ihnen am meisten am Herzen liegen und deren Antwort sie nicht kennen oder nicht verstehen.<\/p>\n

In den kommenden Wochen werden die Pension\u00e4re nun durch das Geb\u00e4ude f\u00fchren und ihre Helmsammlung pr\u00e4sentieren. Eine weitere Involvierung in das Projekt h\u00e4lt Isa Rosenberger f\u00fcr \u00fcbertrieben: Die M\u00e4nner sollen f\u00fchren, aber nicht \u201evorgef\u00fchrt\u201c werden.<\/p>\n

Zwischen Bauhaus und Baumarkt<\/strong><\/p>\n

Rosenberger, die verantwortlich war f\u00fcr die Einrichtung des Caf\u00e9s, stand von vornherein fest, dass die Feuerwehrtrucks und die verstaubten Helme und Jacken integriert werden sollten. Die Architektin Heidi Pretterhofer entwickelte ein verstellbares System, das \u00e4sthetisch und materialm\u00e4\u00dfig changierte zwischen Bauhaus und Baumarkt, und zudem diverse skulpturale und performative Konfigurationen zulie\u00df. Die verwandten vier Farben greifen die Haken an der Wand auf, die jeweils einem Feuerwehrzug zugeordnet sind.<\/p>\n

Das Caf\u00e9 wird erg\u00e4nzt durch eine Pr\u00e4sentation \u201eThe Dancing Tables Archive\u201c im oberen Stockwerk der Bergen Kunsthall, wo auch vier historische Helme ausgestellt <\/a>sind, die \u00d8yvin Konglevoll, der Leiter der Feuerwehrpension\u00e4re, ausgew\u00e4hlt hat und ein Film l\u00e4uft, der die Arbeit der M\u00e4nner dokumentiert. \u201eEs ist quasi das Archiv des Museums der brennenden Fragen \u2013 kein kanonisiertes, feststehendes Archiv, sondern ein Archiv in Bewegung\u201c. Einmal die Woche wird Nora Sternfeld die brennenden Fragen auf den neusten Stand zu bringen.<\/p>\n

Brennende Fragen<\/strong><\/p>\n

Doch was sind es f\u00fcr Fragen, die den Menschen wie Feuer unter den N\u00e4geln brennen? \u201eZuerst einmal kamen die Feuerwehrm\u00e4nner zu Wort\u201c, erkl\u00e4rt Isa Rosenberger. \u201eEs ist schon interessant, wie sie die Stadt durch den Filter des Feuers wahrnehmen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die erste Frage lautete, warum immer noch ein Gro\u00dfteil der Geb\u00e4ude in Bergen, das mehrfach in Teilen abgebrannt war, aus Holz gebaut ist. So gab es 1916 ein Riesenfeuer, das 85% der Stadt vernichtet hatte. Andere <\/a>Fragen besch\u00e4ftigen sich mit allgemein relevanten gesellschaftlichen Themen, wie den Fl\u00fcchtlingen oder der \u00d6lkrise und der Arbeitslosigkeit.\u201c<\/p>\n

Doch nat\u00fcrlich k\u00f6nne auch das Museum der Brennenden Fragen diese Probleme nicht l\u00f6sen, r\u00e4umt Nora Sternberger ein: \u201eIch will nicht die Geschichte eines Happy Ends in der kleinen Stadt Bergen erz\u00e4hlen. Was Kunst jedoch kann, ist das Sichtbare, Denkbare und Sagbare verschieben\u2026 Fragen stellen. Worum es in dem Projekt geht, ist, sich zu verbinden.“<\/p>\n

P.S:: Und diese Verbindung hat sich gelohnt. Ein kleines Happy End gibt es n\u00e4mlich. W\u00e4hrend die Forderung nach einem Feuerwehrmuseum vor einem halben Jahr noch vehement abgelehnt worden sei, gab es im Mai eine Zusage von der Stadt Bergen, berichtet Isa Rosenberger: \u201eUnd nat\u00fcrlich hoffen wir, dass wir ein ganz klein wenig geholfen haben\u2026\u201c<\/p>\n

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