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{"id":3669,"date":"2016-12-16T08:30:45","date_gmt":"2016-12-16T07:30:45","guid":{"rendered":"http:\/\/www.yeast-art-of-sharing.de\/?p=3669"},"modified":"2020-04-07T08:43:28","modified_gmt":"2020-04-07T06:43:28","slug":"miteinander-kultivieren-germeinschaftsgaerten-in-mailand","status":"publish","type":"post","link":"http:\/\/www.yeast-art-of-sharing.de\/2016\/12\/miteinander-kultivieren-germeinschaftsgaerten-in-mailand\/","title":{"rendered":"Miteinander kultivieren – Gemeinschaftsg\u00e4rten in Mailand"},"content":{"rendered":"

Erst ist da dieser Geruch von Rosmarin und Lavendel, vermischt mit dem zarten Parf\u00fcm von Rosen. Riesige Zitronenmelisse-B\u00fcschel \u00fcberwuchern die h\u00f6lzerne Randfassung eines Hochbeetes. Zwei M\u00fctter mit ihren Kindern ernten Zucchini, Tomaten, Auberginen und Salate, rupfen Unkraut, harken die Beete. Im Schatten der Eiben laden Tische und B\u00e4nke zum Verweilen ein. Soweit kein verwunderlicher Anblick, l\u00e4ge der \u201eOrto\u201c, wie Italiener ihre Schreberg\u00e4rten nennen, nicht mitten im Herzen von Mailand, in der Via Marco dei Marchi. Eine gr\u00fcne Idylle also dort, wo sonst grauer Beton und elegante Gro\u00dfst\u00e4dter das Gesicht des Viertels pr\u00e4gen.<\/p>\n

\"09_glaubensgarten\"<\/a>Der Landschaftsarchitekt Andreas Kipar ist Initiator des \u201eOrto della Fede\u201c, des im Mai 2011 eingeweihten \u201eGlaubensgartens\u201c, auf dem Grundst\u00fcck der evangelischen Gemeinde Mailands. Zuvor k\u00fcmmerte die Fl\u00e4che vor der im neugotisch-lombardischen Stil errichteten Kirche vor sich her, diente als ein Parkplatz.<\/p>\n

Jenseits von Bl\u00fcmchenrabatten<\/strong><\/p>\n

Kipar, der B\u00fcros in Mailand und Duisburg unterh\u00e4lt, war klar, dass eine Versch\u00f6nerung vonn\u00f6ten war, die sich nicht in den \u00fcblichen Bl\u00fcmchenrabatten ersch\u00f6pft. Stattdessen bat der f\u00fcr seine unkonventionellen Ans\u00e4tze bekannte Architekt die Initiative \u201eOrticulara Urbana\u201c um Hilfestellung. Auch die Generalkonsuln aus Deutschland und der Schweiz sowie engagierte Gemeindemitglieder unterst\u00fctzten das Projekt.<\/p>\n

Von vornherein stand der partizipatorische Gedanke im Vordergrund. Zun\u00e4chst lie\u00dfen Kipar und seine Mitstreiter die kranken Kastanienb\u00e4ume vom Grundst\u00fcck entfernen und neue Erde aufsch\u00fctten. In Samstagarbeit erbauten Familien acht Hochbeete, die inzwischen von den Gemeindemitgliedern und Kindern der Deutschen und Schweizer Schule gepflegt werden. Dabei ist das Beet der Schweizer Schule noch etwas akkurater kultiviert als das der Deutschen\u2026<\/p>\n

Campen im Glaubensgarten<\/strong><\/p>\n

Als Ort der Begegnung soll der Orto della Fede jedermann offen stehen. So fand anl\u00e4sslich der Expo 2015 hier ein interkonfessionelles Expo-Camp f\u00fcr junge Leute aus aller Welt statt.<\/p>\n

Das Projekt entspricht dem Trend des \u201eUrban Gardening\u201c und der \u201eGemeinschaftsg\u00e4rten\u201c, der auch l\u00e4ngst Mailand erreicht hat. Diese Offenheit bestand nicht immer so, erinnert sich Kipar; \u201eAls ich vor mehr als drei\u00dfig Jahren nach Mailand kam, war das Wort G\u00e4rtnern ein Schimpfwort. Man empfahl mir, mich als Landschaftsarchitekt zu pr\u00e4sentieren und nicht zu erw\u00e4hnen, dass ich auch gerne g\u00e4rtnere. Heute ist das G\u00e4rtnern auch in Mailand angekommen, ist inzwischen Mode.\u201c<\/p>\n

Stadtverwaltung und B\u00fcrger ziehen an einem Strang<\/strong><\/p>\n

\"orto-fede-milano-300x225\"<\/a>Auch die Stadtverwaltung habe in den letzten drei\u00dfig Jahren viel getan, um Mailand gr\u00fcner werden zu lassen. Unter der Stadtr\u00e4tin Chiara Bisconti setzte sie erstmals auf die Partizipation der B\u00fcrger bei der Kultivierung und Pflege von Gr\u00fcnfl\u00e4chen und entwickelte einen Gr\u00fcnordnungsplan. Damit greift die offizielle Stadtplanung auf, was sich seit Jahren in einer Graswurzelbewegung \u201evon unten\u201c entwickelt. Engagierte B\u00fcrger besetzen die letzten Freifl\u00e4chen und richten dort Gemeinschaftsg\u00e4rten ein. Das hat nicht nur stadt\u00f6kologische Auswirkungen. Es entstehen auch \u201esoziale Labore\u201c, in denen die Bewohner eigene Formen der Kollaboration entwickeln.<\/p>\n

Das funktioniert nach dem Prinzip der Selbstorganisation: \u201eDo it yourself \u2013 and do it together\u201c. So auch im Garten \u201eIsola Pepe Verde\u201c, der in unmittelbarerer N\u00e4he des \u201eBosco Verticale\u201c liegt. Der Architekt Stefano Boeri lie\u00df mit dem exklusiven Hochhaus einen \u201eVertikalen Wald\u201c entstehen: Auf jedem Balkon wachsen B\u00e4ume. F\u00fcr das Projekt musste ein beliebter Park weichen. Sehr zum \u00c4rger der Anwohner, die sich 2013 zusammenschlossen und vis \u00e0 vis mit der Isola Pepe Verde einen Garten auf Zeit einrichteten.<\/p>\n

\"05_glaubensgarten\"<\/a>Auf ehemaligen Lagerfl\u00e4chen gedeihen heute Blumen und Gem\u00fcse, soweit das Auge reicht. Auf den zweiten Blick bemerkt man: Der gesamte Garten ist transportabel. Die Pflanzen sind in Kisten gepflanzt, f\u00fcr den Fall, dass die Fl\u00e4che ger\u00e4umt werden muss. Vorerst aber ernten die \u201eInsulaner\u201c ihr selbstgezogenes Gem\u00fcse und kochen miteinander. Oder wie eine Aktivisten berichtet: \u201eMan isst gemeinsam, teilt gro\u00dfz\u00fcgig und hat dabei die besten Ideen.\u201c<\/p>\n

Der Giardino degli Aromi im Norden Mailands lockt gleicherma\u00dfen Familien, Schulklassen sowie Rentner an \u2013 und Patienten der psychiatrischen Zentren aus der Region: Mailands gr\u00f6\u00dfter Gemeinschaftsgarten entstand in dem 150.000 qm gro\u00dfen Park des Psychiatrischen Krankenhauses Paolo Pini. \u00dcberall wird gemeinsam ges\u00e4t, gegossen, geerntet, gelacht. Ein St\u00fcck Lebenskultur.<\/p>\n

G\u00e4rtnern wird hier als Therapie eingesetzt. \u201eWer gut ist zu einer Pflanze, ist auch gut zu sich selbst\u201c, erkl\u00e4rt Aurora Betti, eine der Initiatorinnen. Leopoldo, urspr\u00fcnglich t\u00e4tig in der Modebranche, bekennt: \u201eIch bin s\u00fcchtig nach Gartenarbeit.\u201c Mit 40 hatte er eine schwere Krise, die ihn dazu brachte, sein altes Leben hinter sich zu lassen. Heute ist er Experte f\u00fcr historische Apfel- und Tomatensorten. In seinem Beet kultiviert er an die 400 Pflanzenarten.<\/p>\n

So bahnt sich peu a peu \u2013 offiziell und inoffiziell – das Gr\u00fcn seinen Weg. Auch das von Kipar mitkonzipierte System der \u201eraggi \"00_glaubensgarten_inaugurazione_ufficiale\"<\/a>verdi\u201c, der \u201egr\u00fcnen Strahlen\u201c, wurde in den Gr\u00fcnordnungsplan der Stadt Mailand aufgegriffen und ins Ma\u00dfnahmen-Dossier zur EXPO 2015 aufgenommen: Von der Innenstadt aus gehen dem Konzept zufolge acht gr\u00fcne Strahlen \u2013 jeder ist einem Stadtteil zugeordnet – nach au\u00dfen, bis sie au\u00dferhalb des Stadtkerns auf einen gr\u00fcnen Ring treffen, wo ein Fu\u00df- und Radweg in einer Gesamtl\u00e4nge von 72 km Mailand umschlie\u00dfen soll. Innerhalb der Strahlen werden bestehende Gr\u00fcnfl\u00e4chen genutzt und mit neu angelegten verbunden \u2013 zahlreiche Radwege sind geplant. Auch die ehemaligen Industrieareale von Pirelli, Alfa Romeo und Maserati werden – teils als Gr\u00fcnanlagen – in die Strahlen integriert.<\/p>\n

\u201eSystem der Byp\u00e4sse\u201c<\/strong><\/p>\n

Kipar betont dabei die Bedeutung auch kleiner und kleinster Gr\u00fcnanlagen: \u00a0\u201eEs ist ein offenes System, das sich an acht Strahlen festmacht, aber immer dort aktiv wird, wo sich kleine Byp\u00e4sse auffinden. Auch der Glaubensgarten befindet sich in einem kleinen Bypass. Und wenn Byp\u00e4sse fusionieren, dann machen sie Wege frei und schaffen unerwartete Verbindungen. Der ganze Stadtorganismus lebt so neu auf.\u201c<\/p>\n

Kipar zerreibt einen Rosmarinzweig zwischen seinen Fingern, w\u00e4hrend er die Perspektive eines neuen gr\u00fcnen Mailands malt. Ein vielversprechender Duft breitet sich dabei aus.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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